Giovanni Venier

»Wenn ich schon getroffen werde, dann wenigstens mit vollem Bauch«

Ein Ausschnitt aus dem Leben von Giovanni Venier – italienischer Zwangsarbeiter in Schweinfurt. Giovanni Venier wird am 1. August 1920 in Rovigno/Istrien geboren. Nach der Verhaftung Mussolinis und dem Zusammenbruch des faschistischen Italiens werden die italienischen Militärangehörigen – so auch er – entwaffnet und wie viele als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt. Venier hat vom 1. Oktober 1943 bis 31. August 1944 den Status eines italienischen Militärinternierten mit der Erkennungsmarke 180949. Anschließend wird er zu einem freien Arbeiter erklärt, ohne dass sich seine Lebensumstände verbessern.

Am 1. Oktober 1943 bringt man ihn mit ca. 4000 Leidensgenossen in Viehwaggons von Triest in das Lager Wietzendo bei Hamburg. Dort herrschen katastrophale Verhältnisse, wie Überbelegung, Mangelernährung, schlechte hygienische Verhältnisse und menschenunwürdige Unterbringung. Daraus folgend ergeben sich viele Todesfälle. Kurze Zeit später wird er weiter transportiert und muss in einer Munitionsfabrik in Fürth arbeiten. Er ist gerade 23 Jahre alt. Am 31.Oktober 1943 verlegt man ihn mit 200 anderen Italienern nach Schweinfurt zur Firma Kugelfischer in die Schmiede, später kommt er in die Schlosserei. Offensichtlich wird er deshalb ausgesucht, weil er von Beruf Maurer und schwere Arbeit gewohnt ist. Dort muss er bis März 1944 arbeiten.

In der ersten Zeit wird er mit 30 anderen Italienern im Theater in Gerolzhofen untergebracht. Sie müssen täglich um 4.00 Uhr aufstehen und werden mit dem Zug unter Bewachung zur Arbeit gebracht, wo sie von 6.00 – 18.00 Uhr arbeiten müssen. Nach ungefähr 3 Monaten kommt er ins Kugelfischer-Zwangsarbeiterlager »Mittlere Weiden« in Oberndorf. Im Lager herrscht eine Läuseplage. Das Lager »Mittlere Weiden« südlich von Oberndorf. westlich der Kläranlage am Main gelegen, war ein Werkslager von FAG Kugelfischer Georg Schäfer & Co. Es wurde mit einer Belegung von 2400 Menschen geplant (Baubeschreibung vom 18. September 1943).

Nördlich des Fabrikgeländes (heute im Werk am Ort der Halle H) standen weitere Baracken mit einer Kapazität von mindestens 2000 Zwangsarbeiter-Plätzen. Nach schriftlichen Unterlagen und Zeugenaussagen ist es gesichert, dass im Lager »Mittlere Weiden« sowjetische Kriegsgefangene, französische, russische und tschechische zivile Zwangsarbeiter und italienische Militärinternierte, später zivile Zwangsarbeiter, leben mussten. Verantwortlich für die Unterbringung und Verpflegung war die Firma, die das Lager unterhielt. Die Bewachung wurde vom Landeschützenbatallion gestellt. Ausführende Baufirma war die Firma Gebrüder Riedel Schweinfurt. Die verschleppten Menschen aus vielen Ländern mussten schwere Arbeit leisten. 12 Stunden am Tag, incl. samstags, manchmal sogar den halben Sonntag. Dazu kommen noch die Zeiten, um zur Fabrik oder ins Lager zu kommen.

Frühmorgens gibt man ihnen einen dünnen Kaffee, zweimal am Tag eine Suppe mit Gemüse und Kartoffeln, ähnlich einem Eintopf sowie zwei Scheiben Brot. Fleisch gibt es kaum. Giovanni Venier hat immer Hunger. Das Essen ist nach seinen Aussagen besser als bei den folgenden Arbeitsstellen. Es sieht aber aus wie in einem Sautrog, z.B. sind die Kartoffeln oft nicht gewaschen oder das Gemüse dreckig.

Die Wachen geben ihnen Zuckerrüben, die sie aus Hunger essen und von denen sie Bauchweh bekommen. An der Kantine hat er Gelegenheit, mit anderen die Mülltonnen durchzuwühlen, in denen er etwas Essbares, Kartoffelschalen und verschimmelte Äpfel, findet. Einmal wird er dabei erwischt, wie er einige Kartoffeln in der Tasche hat. Ein Deutscher will ihn deshalb schlagen, dabei kommt ihm ein anderer Deutscher zu Hilfe. Es passiert glücklicherweise nichts.

Es wird kein Lohn ausgezahlt – allerdings gibt es »Lagergeld«, das der Meister verteilt. Damit kann man nur im Lager bezahlen, aber es gibt kaum etwas dafür zu kaufen – vor allem keine Lebensmittel oder Obst. Bei der Ankunft werden ihnen die Schuhe abgenommen. Sie erhalten Holzschuhe, in denen er kaum laufen kann. Wechselwäsche gibt es nicht. Unter seinen Kleidern trägt er aus Zementsäcken mehrere Lagen Papier gegen die Kälte. Herr Venier ist es nicht erlaubt, sich frei zu bewegen und das Lager zu verlassen. Er wird immer mit Bewachung an den Arbeitsplatz gebracht.

Zur Kennzeichnung für jeden sichtbar hat er ein großes »G« auf dem Rücken. Er erzählt, dass es auch viele russische und polnische Zwangsarbeiter bei Kugelfischer gab, mit denen er aber kaum Kontakt hatte. Am 24 Februar 1944 erfolgt ein Luftangriff, bei dem er aus Angst in einen Bunker rennt. Als Fremdarbeiter erkannt, wird er mit Tritten wieder hinausgeworfen. Bei einem weiteren Angriff zieht er sich Zivilkleidung an, die er aufgetrieben hat, und gelangt unerkannt in den Oberndorfer Bunker. Er erinnert sich, dass Zwangsarbeiter auch später nicht in die Bunker eingelassen wurden. Körperliche Misshandlungen sind an der Tagesordnung. Man wird wegen Kleinigkeiten geschlagen, z. B. wenn man Widerspruch wagt. Gelegentlich dürfen sie unter Bewachung in die Kirche, aber eine Beichte wird nicht zugelassen.

lm März 1944 wird er an das Baugeschäft Peter Paul Alt in Kitzingen weitervermittelt, wo er als Maurer arbeitet. Für Alt arbeitet er im Werk von Fichtel & Sachs, unter anderem betoniert er Fundamente für die Baracken des Zwangsarbeiterlagers »Obere Weiden« (heute Gebiet der ZF-Trading).

Das Essen für die Bauarbeiter wird in der Kantine bei Fichtel & Sachs ausgegeben. Sie sitzen gerade beim Essen, als die Sirenen ertönen. Alle deutschen Beschäftigen laufen davon, um sich in die Schutzräume zu begeben. Sein Hunger ist so groß, dass er sich sagt: »Wenn ich schon getroffen werde, dann wenigstens mit vollem Bauch« und isst sich erst einmal von dem stehengebliebenen Essen satt.

Gegen Ende des Krieges muss er für die Firma Alt Schützenlöcher für Panzerfaust-Schützen in den Haßbergen betonieren. Aus Mangel an Schuhwerk wickelt er sich Lappen um die Füße und verliert aufgrund der schlechten Ernährung immer mehr an Kraft. Untergebracht ist er in Lauter, wo er auch das Ende des Krieges erlebt. Gelegentlich erhält er Pakete von seiner Familie in Italien über das Rote Kreuz. Briefe und Karten, die er schreibt, werden überwacht und zensiert. Viele seiner Kameraden erkranken an Tuberkolose, an der einige nach dem Krieg sterben.

Giovanni Venier arbeitet nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reichs im Schweinfurter Krankenhaus und einige Jahre bei den Amerikanern. Er lernt im Juli 1945 seine Frau kennen, die er am Ende des Jahres heiratet. Er bleibt in Schweinfurt, wechselt in seinen gelernten Beruf und ist ab 1953 bis zu seinem 75. Lebensjahr als selbstständiger Fliesenleger tätig. Am 8 April 2008 stirbt Giovanni Venier.