Befragung von Leonnid Shuk

Eine Ausnahmesituation, was die Arbeitsstelle betrifft, hatte Leonnid Shuk.
Er hatte es von allen „am Besten“, denn er war nicht in der Kugellager­produktion eingesetzt, sondern bei einem Bautrupp, der Bombenschäden ausbesserte und Aufräumungsarbeiten ausführen musste.

Wie sind Sie nach Deutschland gekommen?
Es wurden alle, die 1926/27 geboren sind, einberufen und mußten kommen.
Als erste ist meine Schwester eingezogen worden. Es hieß: wenn jemand von den Kindern nicht kommt, wird die Mutter genommen.

Von wem kam diese Aufforderung?
Das kam von der ukrainischen Polizei.

LeonidWann ging der Transport ab?
Der Zug stand schon bereit. Alle wurden in die offenen Waggons gepackt. Wachen mit Gewehren standen dabei. Es war tagsüber und keiner ist geflohen. Wir sind bis Polen. Alle blieben beim Trupp. In Polen wäre es ja schon wegen der Sprache noch schwieriger gewesen zu fliehen.
In Polen waren wir ungefähr zwei Wochen. Und dann kam ein Mann aus Deutschland und hat gesagt: ich brauche 22 Leute. Wir bekamen eine Nummer und Essen für zwei Tage. Brot und Butter. Wir waren sehr dankbar, daß wir was zum Essen bekamen, denn wir waren hungrig. Im Zug hatten wir nichts bekommen. Wir hatten nur das, was wir mitgenommen hatten.

Wozu hat er die 22 Leute gebraucht?
Er hat nicht mit den Leuten gesprochen, nur mit den Behörden. Wir haben nicht gewußt wohin und was für eine Arbeit uns erwartet. Der Übersetzer hat gesagt: es geht jetzt nach Deutschland.
Da haben wir Straßen nach den Bombenangriffen wieder befahrbar gemacht. Und wir haben die neue ankommenden Backsteine von den Waggons ausgeladen. Dazu kamen Deutsche und aus unserem Trupp wurden kleine Gruppen gebildet, die dann anfallende Maurerarbeiten machten. Wände ausbessern, Zement mischen…

War das eine Firma oder eine städtische Behörde?
Ich vermute, das war staatlich. Wo wir gebraucht wurden, dahin sind wir gebracht worden.

Wo war das Lager und die Schlafbaracken?
Das war an der Kaserne. Nicht hier in den Kufibaracken. Vier oder fünf Kasernen waren das. Italiener waren auch da untergebracht.

Das Ostabzeichen hatten Sie das auch?
Ja! ohne das durften wir nicht in die Stadt gehen…

BrennenderHochbauWann wurden Sie aus Ihrer Heimatstadt abtransportiert?
Das war im August 1943. Ja die andern wurden schon 1942 abtransportiert. Ich war einer der letzten.

Wie war die Behandlung, das Essen undsoweiter?
Niemand hat auf uns aufgepaßt. Wir durften jeden Tag in die Stadt gehen. Wir haben uns ziemlich „frei“ gefühlt. Am Anfang hatten wir noch Begleitung gehabt. Die uns zeigten, wo wir arbeiten mußten. Aber nur die erste Zeit. Dann waren wir ziemlich frei. Wir wußten wo wir sind, wo der Bahnhof ist, der unsere Hauptarbeitsstelle war. Ja, Disziplin mußte sein. Um die vorgeschrieben Zeit zurück in den Baracken usw.

Wie war die Verpflegung?
Wir haben immer Brot bekommen und Gemüse. Und was schön war: jeden Sonntag Fleisch. Die einheimischen Deutschen bei denen wir gearbeitet, also Bombenschäden repariert haben, die haben uns sehr geholfen. Die hatten selbst nicht arg viel. Es war Krieg, es gab insgesamt nicht viel. Aber wir haben nicht gehungert. Wenn jemand krank war und ins Lazarett gekommen ist, haben wir dessen Essen trotzdem bekommen und das dann aufgeteilt.
Wir haben wie die Einheimischen auch, Kippen gesammelt und alles geraucht, was wir bekommen konnten.

Haben Sie einen Lohn bekommen?
Wir haben Geld bekommen. Aber wir konnten damit nicht viel kaufen. Bier allerdings soviel man wollte. Zum Brot und Fleisch brauchte man Marken, die wir aber nicht hatten. Deswegen haben wir mit dem Geld Karten gespielt. Das Bier gab es unbegrenzt aber es war nicht sehr stark.

Wie war die Arbeitszeit geregelt?
Wenn der Zug mit den Ziegelsteinen kam, mußte die Arbeit unter allen Umständen fertig werden ohne Begrenzung. Aber sonst normalerweise 8 Stunden. Samstag nur Vormittag und Sonntag frei. Der Zug aber durfte nicht stehen bleiben.

Gibt es besonders gute oder schlechte Erinnerungen?
Ich habe keine extremen Situationen erlebt. Ich hatte Glück und keine sehr schlechten Erlebnisse.

Haben Sie vom Lager auf der Maininsel gewußt?
Ja, ich hatte sogar eine Freundin aus diesem Lager aber selbst habe ich es nicht gesehen.

Nach der Befreiung dann, wann sind Sie wieder zurück in die Ukraine?
Am 11. April sind wir von den Amerikanern befreit worden. Ab Mai, den Tag habe ich vergessen… ??

Wir haben die Amerikaner schießen hören. Und wir haben die weiße Fahne gezeigt. Aber jemand hat aus dem Haus heraus auf sie geschossen. Und die Amerikaner haben sofort Flugzeuge geschickt und das Haus wurde bombardiert.

Dann sind wir nach Magdeburg gelaufen, dann Richtung Berlin immer in Etappen. Bei Bauern haben wir Essen bekommen. Dann haben wir die Russen getroffen. Die haben uns Brot gegeben.

Und die Russen haben uns dann eingezogen, wir mußten marschieren und exerzieren. Da war ich 19.
Wir sind dann bis nach Polen marschiert. Am 5. Dezember 1945 war ich wieder im Ural und bei der Trud-Armee zum Erdöl fördern. 1946 bin ich nach Krivoj Rog gekommen aber nur zum Urlaub. Einen Monat war ich zu Hause. Danach wieder zurück nach Baskirien.
1950 kam ich endgültig nach Hause.

Haben Sie Entschädigung von Deutschland bekommen Von der Stiftung…?
4300 Dollar sind versprochen worden und 65% haben wir ausgezahlt bekommen. Die restlichen 35% sollen wir noch bekommen.

Wie haben Sie das hier in Schweinfurt erlebt. Können Sie nach dieser Woche schon was sagen?
Ich habe mein Leben lang gearbeitet, nie richtig Urlaub gemacht und jetzt – das war wie ein Geschenk am Schluß meines Lebens. Ich bin es nicht gewohnt so verwöhnt zu werden wie hier diese Woche. Es waren sehr viele Gefühle dabei. Ich hätte nie gedacht, daß ich nach 60 Jahren so was noch erleben würde. (er hat Tränen in den Augen, muß weinen)

Wir danken Ihnen für das Interview.
Ich bedanke mich auch vielmals.