Initiative gegen das Vergessen, Gutermannpromenade 7, 97421Schweinfurt

Betrifft: Ehrenbürger Willy Sachs

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Sebastian Remelé
sehr geehrte Damen und Herren Stadträtinnen und Stadträte,
sehr geehrter Herr Stadtarchivar Dr. Uwe Müller,

der Stadtrat von Schweinfurt wird Anfang 2021 einen fraktionsübergreifenden Antrag beraten, wonach Willy Sachs aus der städtischen Liste der Ehrenbürger gestrichen werden und das Stadion in Sachs-Stadion umbenannt werden soll. Eine Tafel am Stadionvorplatz soll die Öffentlichkeit über das Wirken der Familie Sachs, zum Unternehmen und der Leistung der Mitarbeiter informieren.

Die Initiative gegen das Vergessen, die die im Antrag formulierten Anliegen schon mehrfach in früheren Jahren gefordert hat und jetzt natürlich unterstützt, will mit diesem Schreiben noch einmal erläutern, warum dem Antrag 75 Jahre nach Kriegsende in vollem Umfang zugestimmt werden muss.

In einer aus Spenden finanzierten Anzeige in den Schweinfurter Zeitungen der Mediengruppe Main Post und im Schweinfurter Magazin Groschenheft haben 125 Persönlichkeiten das Anliegen des Antrags unterstützt. Im Übrigen weisen wir neben weiteren Unterstützern auf die Reaktion des FC 05 Schweinfurt als Nutzer des Stadions hin, der den fraktionsübergreifenden Antrag gutheißt.

1. Die Zuordnung „überzeugter Nazi“ trifft auf Willy Sachs und sein Wirken zu. Er trat frühzeitig verschiedenen NS Organisationen (SA, SS, NSDAP, Freundeskreis Himmler…) bei, unterstützte in Worten wie auch mit erheblichen finanziellen Mitteln die nationalsozialistischen Organisationen und unterhielt persönliche Freundschaften mit hochrangigen Funktionären.

Willy Sachs stellte sich schon aktiv an die Seite der Nationalsozialisten, als sich die neuen Machthaber selbst noch nicht sicher wähnten. Als 1933 in Schweinfurt Demokraten verhaftet wurden, verkündete Willy Sachs, aus dem „roten“ Betrieb einen „braunen“ machen zu wollen. Sachs verherrlichte die Kriegsmaschinerie und die Nazis, mit Propagandareden sogar im Werk. Von diesem frühen Zeitpunkt bis Kriegsende waren das zwölf Jahre Anbiederung an die nationalsozialistische Führungselite, zwölf Jahre Erfüllung ihres Willens, zwölf Jahre Blindheit für einen Unrechtsstaat. All das sind Bausteine, die das Unrechtssystem salonfähig gemacht und verharmlost, ja, die dieses verbrecherische System erst ermöglicht haben.

Es ist denkbar, dass die Menschen vor allem in Schweinfurt und Umgebung dachten: Wenn der Willy Sachs, gar noch als Ehrenbürger der Stadt , so gut mit Göring, Himmler & Co. kann, dann wird das System wohl nicht so schlimm sein. Willy Sachs hat als von Anfang an überzeugter Nazi durch sein opportunistisches, willfähriges Verhalten dazu beigetragen, dass die Nationalsozialisten stark wurden - und dass die Stadt Schweinfurt fast völlig ausgelöscht wurde. Das nicht zu vergessen gehört zur „verantwortungsvollen Erinnerungskultur“.

2. Die faschistische Betriebsgemeinschaft mit ihm selbst als Betriebsführer kam Willy Sachs gelegen. Die enormen Rüstungsaufträge brachten ihm großen Profit. Als Eigentümer von F&S gehörte er zu den Kriegsgewinnlern, der zudem aus der tausendfachen Zwangsarbeit profitierte. Die Spende des Stadions war sicherlich in der damaligen Zeit nicht uneigennützig und einfach so der Stadt und dem FC 05 gewidmet. Allein die Eröffnung geriet zu einer „machtvollen Huldigung für den NS Staat“. Das Zitat findet sich auf Seite 262 im Buch „SACHS. Mobilität und Motorisierung. Eine Unternehmensgeschichte“ von Andreas Dornheim, das er dem Buch „Schweinfurt. Kleine Stadtgeschichte“ (Regensburg, 2014, Seite 106) entnommen hat. Autoren sind bemerkenswerterweise Thomas Horling, Schweinfurts Stadtarchivar Uwe Müller und der frühere Leiter der Städtischen Museen Erich Schneider.

3. Seit Bekanntgabe des Antrags im Stadtrat meldeten sich zahlreiche Verteidiger von Willy Sachs zu Wort, die ihre Meinung in Leserbriefen, im elektronischen Netz und Schreiben an den OB und Teile des Stadtrates ausgedrückt haben. Auf die klare Faktenlage und den Antragsinhalt gingen viele Verfasser nicht ein, sondern bemühten sich um verharmlosende Aspekte. Zum Beispiel die Nachfrage von Sachs „kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner […] über das Essen der Zwangsarbeiter“, das „danach besser wurde“ (Dornheim: SACHS. Mobilität und Motorisierung. Eine Unternehmensgeschichte. Hamburg 2015, Seite 411). Die Aussagen von Lager-Insassen und Zwangsarbeitern in den unter anderem von unserer Initiative geführten Interviews zeigen ein anderes Bild: Von Hunger als ständigem Begleiter, extrem langen Arbeitstagen, Drangsal und täglicher Angst.

4. Auf die geäußerten Meinungen näher einzugehen, würde den Rahmen sprengen, ist nicht hilfreich und wohl auch sinnlos. In zwei Fällen ist das nötig. Elisabeth Böhrer weist in einem Leserbrief an das Schweinfurter Tagblatt/Volkszeitung auf die Hilfe für eine jüdische Familie durch Sachs hin. Nach Quellenlage war Sachs wohl kein Antisemit. Gleichwohl nutzte er aber die politischen Umstände, um dem jüdischen Lizenzbesitzer Max Goldschmidt bei F&S hinauszudrängen. Diesen gravierenden Fall erwähnt die in der Geschichte der Schweinfurter Juden sehr bewanderte Autorin nicht. Ihr Unterlassen erstaunt.

5. Erstaunen reicht als Reaktion auf das Schreiben von Thomas Horling und Daniel Schmitz vom 23. November 2020 an den OB und ausgesuchte Stadträte nicht mehr aus. Die beiden Verfasser sehen die zwölf Jahre von Willy Sachs in der Diktatur relativierend als eine Episode in seinem Leben, auf die seine Person nicht zu reduzieren sei. Horling/Schmitz können den Fakten nicht widersprechen, verweisen verharmlosend auf die Umstände des Lebens in einem totalitären System. Bemerkenswert ist, dass Dr. Daniel Schmitz, ein enger Mitarbeiter von Professor Dr. Andreas Dornheim bei der wissenschaftlichen Bearbeitung de Sachs-Unternehmensgeschichte, in einem Fernsehinterview 2015 verdeutlichte, dass Willy Sachs ein „überzeugter Nationalsozialist“ gewesen sei und dass dies wissenschaftlich klar erwiesen sei (https://www.youtube.com/watch?v=rBZjkL6ZXO0).

Aus nicht nachvollziehbaren Gründen begeben sich Horling und Schmitz („Eine verantwortliche Erinnerungskultur verschweigt nichts“, Zitat aus dem Schreiben) sogar in die Nähe von Aussagen aus dem AfD-Bundesprogramm von 2016, wo es unter Ziffer 7.4, Seite 48 heißt: „Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven Aspekte deutscher Geschichte umfasst.“ Mit dem bekannten Zitat vom „Vogelschiss in der deutschen Geschichte“ spitzte Gauland die programmatische Aussage provozierend sogar noch zu.

6. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Blick auf die Zeit kurz nach dem Krieg, als ihm „ein findiger und trickreicher Anwalt zur Seite steht, der selbst SS-Mann [...] war und nun dafür sorgt, dass sich die einstige schwarze SS-Uniform in eine weiße Weste verwandelt“ (Artikel „Der braune Schatten“ im Magazin für politische Kultur Cicero, https://www.cicero.de/wirtschaft/der-braune-schatten/37229 ). Das Urteil durch ein „gutmütiges Laiengericht“ (Artikel „Der braune Schatten“, siehe oben), das Willy Sachs im Entnazifizierungsverfahren als „Mitläufer“ einstuft, wird zwar von der US-Aufsichtsbehörde kassiert. Aber auch in zweiter Instanz schafft es der Anwalt, dass kein strengeres Urteil zustande kommt, „wobei er sich der infamen Methode bedient, den Täter zum Opfer zu machen und Willy Sachs wider die Fakten als rassisch Verfolgten darzustellen“ (Artikel „Der braune Schatten“, siehe oben). Nach den mittlerweile umfassend ausgewerteten Quellen setzte Willy Sachs seine Begeisterung für die Naziideologie nach der Befreiung nicht fort. Im Gegenteil erkannte er nachhaltig seine Chancen zum Wiederaufstieg, jetzt halt ohne die Nazis. Aber: Willy Sachs fand 1948 nach der Rückkehr aus der Internierung ein funktionsfähiges Unternehmen vor, das mit der harten D-Mark nach der Währungsreform durchstartete.

7. Willy Sachs war nicht unwissend verstrickt, er war frühzeitig aktiver Nationalsozialist! Angesichts der mittlerweile erdrückenden Fakten und der Einordnung in die jeweiligen Umstände ist das eine wissenschaftliche Frage, wobei es auf den Standpunkt ankommt. Die Initiative nimmt den Standpunkt der ausgebeuteten Zwangsarbeiter, der verfolgten Oppositionellen, der Andersdenkenden ein. Das waren in Schweinfurt rund 100 Demokraten, überwiegend Sozialdemokraten und Gewerkschafter, die in Gefängnissen und Konzentrationslagern verschwanden. Schon kurz nach der Machtübernahme 1933 drangsalierten die Nazis vor allem auch die jüdische Bevölkerung, was bekanntlich in Emigration und Vernichtung endete.

8. Die Schicksale vieler Opfer dieses Regimes waren in Schweinfurt lange Zeit überhaupt kein Thema, was sich unter anderem durch die Arbeit und Veröffentlichungen der aus einem Arbeitskreis des DGB hervorgegangen Initiative ab 1981 änderte. Anfang 2000 setzte trotz vieler Widerstände die Initiative den Gedenkort „Drei Linden“ an die 12000 Zwangsarbeiter in Schweinfurt durch. Mit bescheidenen Denkmalen wird heute an die von Nazis ermordete polnische Zwangsarbeiterin Zofia Malczyk sowie an den Sozialdemokraten Fritz Soldmann erinnert. Es gibt aber noch immer viele vergessene Schweinfurter, die sich dem Nazi-Regime entgegenstellten und dabei ihr Leben ließen. Viele litten in Konzentrationslagern, ihre Familien wurden schikaniert. Die Initiative ist gerade dabei, die Schicksale einer größeren Zahl dieser Opfer aufzuarbeiten mit dem Ziel, ihren Einsatz für Demokratie und ihren Widerstand einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen, die bisher Namenlosen damit posthum zu würdigen. Die Mitverantwortung von Willy Sachs zu relativieren oder gar zu leugnen ist schon alleine aus Respekt gegenüber allen Opfern nicht hinnehmbar.

9. Unsere Vorkämpfer für Demokratie schufen mit großem Einsatz, wie bekannt oft unter hohem persönlichen Risiko, eine Republik, in der Meinungsfreiheit möglich ist. Demokratie hat – vor allem angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung, bei der Menschen Sympathie für Legenden, Verschwörungstheorien und autoritäre Lösungen äußern – den interessierten Bürger, der Informationen abwägt, zur Bedingung. Insofern machen auch einige in der aktuellen Sachs-Diskussion gemachte Äußerungen ernsthafte Sorgen. Andererseits, das sei ausdrücklich erwähnt, sind vor allem in den Leserbriefen geäußerte Emotionen verständlich. Gerade die ältere Generation erkennt in der Nazi-Verstrickung von Willy Sachs und anderer hervorgehobener Personen die eigene Familiengeschichte mit allen – auch positiven – Erlebnissen wieder. Auch in einer Diktatur gab und gibt es das persönliche Glück. Das zu kritisieren, wäre anmaßend. Aus dieser Bevölkerungsgruppe ist aber vermutlich keiner ein Ehrenbürger, der an moralischen Ansprüchen zu messen wäre.

10. 75 Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur in Deutschland muss das Wirken von Willy Sachs angemessen politisch eingeordnet werden. Wie Willy Sachs als Privatmann wirkte, ist in der Diskussion bisher ausgespart worden. Nach den Recherchen der Historiker Rott und Dornheim war sein Verhalten keinesfalls ehrenwert. Sein übergriffiges Verhalten Frauen gegenüber beispielsweise ist offenes Geheimnis.

Auch das spielt eine Rolle und manifestiert: Willy Sachs ist als Ehrenbürger ungeeignet, er taugt nicht als Vorbild. Wir bitten, den Stadtrat, den von acht (!) Fraktionen eingereichten Antrag zuzustimmen. allein das zeigt, dass sich der Umgang mit verantwortungsvoller Aufarbeitung der Vergangenheit geändert hat, und das ist ein gutes Zeichen.

Wir bitten den Stadtrat, dem Antrag zuzustimmen.

Johanna Bonengel, Julia Stürmer-Hawlitschek, Klaus Hofmann, Adi Schön, Werner Enke, Hannes Helferich, Norbert Lenhard

Schweinfurt 22.12.2020