Das kurze Leben der Zophia Malczyk

Logo Zophia MalczykKurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat ein Beamter der Kriminalpolizei Schweinfurt eine Zwangsarbeiterin aus Polen wegen angeblicher Plünderung in der Gustav-Adolf-Straße im Beisein eines Kollegen erschossen. Die Polizisten wurden nach langem Instanzenweg 1955 zwar des Totschlags für schuldig befunden, gingen dennoch straffrei aus. Der Fall der damals 19 Jahre jungen Sophie Malczik sorgte zwischen 1952 und 1955 für Schlagzeilen in der Main-Post und im Schweinfurter Tagblatt. Etliche ältere Schweinfurter erinnerten sich noch heute – teilweise sogar sehr detailliert. Die »Initiative gegen das Vergessen« stieß bei Recherchen auf das »Verfahren 416/1«, veröffentlicht im Band VIII. von »Justiz und NS-Verbrechen«.

In erster Instanz kommen die ehemaligen Polizisten O. (49) und P. (46) mit geringen Gefängnisstrafen davon, in der zweiten werden sie – wieder vom Schwurgericht Schweinfurt – sogar freigesprochen. Der Staatsanwalt bleibt hartnäckig, und dieses Mal beauftragt der Bundesgerichtshof das Schwurgericht Würzburg mit der Wiederholung.

Staatsanwalt Dr. Hopf fordert die erwartet hohen Zuchthausstrafen: Sechs Jahre für O., der die Polin erschossen hat, und drei Jahre für Begleiter P. Es hätte auch einen anderen Weg gegeben, um die angebliche Straftäterin zu stoppen, sagt Hopf im Plädoyer. Die Verteidiger verlangen Freispruch, für den Fall einer Verurteilung solle aber das so genannte Straffreiheitsgesetz angewendet werden. Das war 1954 zur »Bereinigung außergewöhnlicher Kriegs- und Nachkriegsereignisse« geschaffen worden.

Und tatsächlich geschieht es so: O. erhält drei Jahre, P. ein Jahr. Das Verfahren wird eingestellt, die ehemaligen Kriminalbeamten verlassen das Gericht als freie Männer. Es stehe zwar außer Zweifel, dass die Tötung der Polin »rechtswidrig gewesen ist«, die Strafe sei der Tat aber angemessen, weshalb das Straffreiheitsgesetz anzuwenden sei.

Sophie Malczik stammte aus dem polnischen Raschin bei Warschau. Sie wurde am 5. Mai 1926 geboren, war mit großer Wahrscheinlichkeit Zwangsarbeiterin; in welchem Unternehmen ist nicht bekannt. Mit dem Kriminalbeamten O., 1934 aus Nürnberg nach Schweinfurt versetzt, war sie erstmals am 1. März 1945 genau 20 Tage vor ihrer Erschießung zusammengetroffen.

Sie soll aus Wohnungen in der Bauschstraße »Gegenstände entwendet« haben, kam deshalb in Haft, wo ihre Schwangerschaft festgestellt wurde. Bei ihrer Ankunft am 8. März 1945 bei der Gestapo Würzburg sagt ein Beamter laut einem Gerichtstext: »Na, Mädchen, jetzt hast du dein Totenhemd an.«

Nach dem Großangriff auf Würzburg am 16. März 1945 kam es zu einer verhängnisvollen Begegnung von O. mit dem damaligen Kriminalrat. Wegen der zerstörten Würzburger Gefängnisse habe der Kriminalrat den Befehl gegeben, Kapitalverbrecher »an Ort und Stelle selbst zu erledigen«. Für O. war klar: die junge Polin hatte geplündert und darauf stand die Todesstrafe.

21. März 1945, ihr Todestag: Das Schwurgericht wird es später als erwiesen ansehen, dass O. auch von seinem Schweinfurter Vorgesetzten aufgefordert wurde, Malczik zu erschießen. »Gehen Sie mit«, sagte O. zur Inhaftierten ohne Angabe von Gründen. Er und P. führten die junge Polin vom Harmoniegebäude schließlich zur Gustav-Adolf-Straße. Als Malczik ihm dort den Rücken kehrte, zog O. seine Pistole und gab ohne Ankündigung zwei Schüsse auf den Hinterkopf der jungen Frau ab. Sie war sofort tot.

O. verfasste noch am gleichen Tag die falsche Mitteilung, dass sich die ledige Arbeiterin Sophie Malczik bei einer erneuten Festnahme am 21. März »im Besitze von Plünderungsgut« befunden habe und auf der Flucht erschossen worden sei.

Das Gericht kam trotz des späteren Urteils zu der erstaunlichen Beurteilung, dass den Polizisten die Rechtswidrigkeit ihrer Tat hätte klar sein müssen, zumal es »nicht sicher feststeht, ob die Polin überhaupt jemals geplündert hat«. Gegen die Überzeugung angeblicher Rechtmäßigkeit spreche vor allem die Verschleierung der Tat. Aber: Als untergebene Beamte hätten sie in zwölf Jahren Nationalsozialismus gelernt, Befehle widerspruchslos auszuführen. Beide hätten zudem die »Rechtswidrigkeit des Tötungsbefehls nicht erkannt«. Gegen den Kriminalrat wurde nie ermittelt. Das Verfahren gegen den direkten Vorgesetzten wurde eingestellt. O. war Mitglied von SS und Gestapo.

Quelle: Schweinfurter Tagblatt vom 25. 3. 2004, Hannes Helferich


Vollmond über Schweinfurt

Vollmond über Schweinfurts Dächern
strahlt auf arm und reich,
über Schläfern über Zechern
scheint für alle gleich.

Er schien auch für ein junges Mädchen
mit langen braunen Haarn
das man verschleppt aus seinem Städtchen
vor über 70 Jahrn.

Zofia Malczyk aus Raschin, Polen,
Zwangsarbeit bei Wasser und Brot;
dem Lager entflohn, aus Hunger gestohlen,
das war ihr sicherer Tod.

Sie war achtzehn, schwanger und wollte leben,
doch sie traf auf Feindschaft und Hass;
ihr wurde keine Chance gegeben,
sie hatte den falschen Pass.

Zwei übereifrige Polizisten,
auch in Zivil noch tief braun,
in Aktentaschen die Todeslisten

von Männern, Kindern und Fraun.

Sie führten Zofia durch die Stadt,
das Urteil war beschlossen,
sie wurde, weil sie gestohlen hat,
auf offener Straße erschossen.

Die Täter wurden nie bestraft
und konnten ruhig schlafen,
für kollektive Täterschaft
gabʼs keinen Paragraphen.

Die Spuren sind fast ganz verweht,
weil wir vergessen hatten;
doch wenn der weiße Vollmond steht,
sieht man Zofias Schatten.

Helga Frauenfeld
Schweinfurt, Januar 2009